"Verlorene Städte" hat ein cooles Konzept. Leider hat mich die Umsetzung nicht ganz überzeugen können.
Das Positive zuerst: Mir gefiel die Repräsentation von nicht-binären Figuren. Einmal Hauptfigur Maeve sowie die Idee eines ganzen Volkes ohne festgeschriebene Geschlechterrollen. Dafür gibt’s einen großen Pluspunkt.
Die Welt wurde mit viel Liebe zum Detail erschaffen. Es gibt viele interessante Pflanzen und Tiere in den Katakomben. Mal lauern dort unten Gefahren, mal trifft Maeve auf harmlose, niedliche Hermeline. Etwas schade ist es, wie es umgesetzt wurde. Gleich zu Beginn wird ein unterirdisches Phänomen nach dem anderen wie am Fließband abgefertigt - der Name wird genannt, gefolgt von einer kurzen Erklärung, was es ist. Kaum freundet man sich mit den neuen Fakten an, entdeckt Maeve das nächste Phänomen. Anstatt vollends in die Welt eintauchen zu können, muss man mit viel Infodump rechnen. Das bessert sich im Verlauf recht schnell, dafür gibt es später andere Schwächen.
Auch wenn Maeve ein klares Ziel vor Augen hat, fand ich ihr Handeln nicht immer ganz nachvollziehbar. Ihr Charakter wirkt sehr blass und passiv. So naiv, wie sie sich in den Katakomben bewegt, merkt man ihr nicht wirklich an, dass sie Katakombenforschung (ein merkwürdig spezifischer Studiengang) studiert. Ihre Vorgeschichte wirkt leider sehr klischeehaft. Auch wenn es nicht komplett an der Realität vorbei ist, finde ich es ein wenig schade, dass Maeves gesamtes Umfeld so übertrieben transfeindlich und verständnislos dargestellt wird, dass man sie sogar aus dem Haus geschmissen hat.
Mit den anderen Charakteren wurde ich ebenso wenig warm. Blaise und Selvice hatten ihre Momente, nur wirklich mitfiebern konnte ich nicht, da sie mir nicht viel bedeuteten.
Die Handlung wirkt an einigen Stellen sehr konstruiert. Man hat den Anschein, als geschähen manche Dinge nur, damit der Plot vorwärtsgeht.
Mich wundert es beispielsweise, wie die gesamte Frenzy Plant in Flammen stehen konnte – in einer Höhle! – Maeve festhielt, diese aber weder Probleme mit übergreifenden Flammen noch mit Rauch hatte. Anschließend fällt sie, nachdem der Boden unter ihnen zusammenbricht, weich auf das Teil drauf, das eben noch lichterloh gebrannt hat.
Schade ist es auch, dass eine große Enthüllung gegen Ende des Buchs, so interessant sie auch war, nur entsteht, weil die Figuren nicht vorher miteinander geredet haben (obwohl Maeve schon so viele Wochen unter der Erde verbracht hat).
Sprachlich ist es nicht immer ganz rund. Es gibt manchmal merkwürdige Wendungen, wie z. B. "Das Flüstern trug nicht weit, wahrscheinlich um niemanden zu stören." (Hat Flüstern so an sich, dass es nicht jede*r hören soll.) Solche Sätze kann man geflissentlich ignorieren, da es sich sonst recht flüssig liest. Weniger schön ist die inkonsequente Deklination von "dey". Mal ist der Akkusativ "demm", mal ist er "dey". Mal steht "dey" sogar als Dativ da, was grammatikalisch falsch ist.
Mein Highlight war es nicht, aber man kann dennoch seinen Spaß mit diesem Buch haben, wenn man die Handlung mal außer Acht lässt und einfach nur in die Welt eintauchen will.

